Dienstag, 21. Mai 2013

Papiermenschen

6 Monate sind jetzt vorbei. Halbzeit. Bald beginnt auf meiner alten Schule wieder die Zeit der Abiturklausuren. Und das soll alles jetzt wirklich schon ein Jahr her sein!?
Die Tage fliegen vorbei, vielleicht aber auch dadurch das die Tage hier kürzer scheinen weil es schon um 18 Uhr dunkel wird und das jeden Tag das ganze Jahr lang. 

Auch wenn ich mein Leben hier natürlich mittlerweile Alltag nennen kann, passieren manchmal Dinge auf die ich nicht vorbereitet bin, nicht vorbereitet war und nicht vorbereitet sein kann. Sie finden mich einfach überraschend und dagegen gibt es so gut wie gar nichts womit ich das verhindern könnte. Selbstverständlichkeit ist etwas was ich an einem anderen Ort mit ganz anderen Augen angeekelt betrachten lerne. Und diese Erschütterung von der eigenen Selbstverständlichkeit mag zuerst etwas sein was schockiert aber ich muss sagen dass ich jedes Mal wo mir das jetzt passierte, realisieren konnte das ich lebe. Das sich die Welt dreht. Als würde mir jemand die Sonnenbrille von der Nase hauen. Und auf einmal kann ich Dinge auf eine ganz andere Art und Weise sehen und verstehen und ich meine wirklich sehen und nicht einfach betrachten.

Halbzeit bedeutet auch Zwischenseminar. Zwischenseminar bedeutet ein Seminar zur Reflexion des bisherigen Aufenthaltes im Auslandsjahr mit anderen Freiwilligen. Für unser Zwischenseminar kam sogar Barbara, die Organisatorin der Vorbereitungskurse unserer Organisation extra, direkt aus Deutschland eingeflogen. Mit 4 anderen deutschen Freiwilligen und einem der aus Tansania herkam begann unser Zwischenseminar in Kibeho im Norden Ruandas, für 5 Tage vom 09.02.-13-02.2013. In Kibeho gibt es bis auf die heilige Quelle und die Kirche wo die Marienerscheinung in der Nähe stattfand nicht wirklich viel, so dass wir die Mittagspausen mit Wikingerschach zubrachten.  Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur für uns Mitspieler ein Spaß war, sondern auch für die Arbeiter die auf dem Gelände der Schwestern bei der Arbeit waren. Das muss ziemlich unterhaltsam ausgesehen haben wie 8 Weiße, darunter eine erwachsene Frau ihre Zeit damit zubringen im Garten Stöcke auf die merkwürdigste Weise durch die Gegend zu werfen.



 Ein Ausflug war auch Teil des Zwischenseminars. Einen Nachmittag fuhren wir also nach Murambi. In Murambi war 1994 eine Schule wo sich viele Menschen im Völkermord zu verstecken versuchten. Ohne Erfolg.  Die Berge toter Menschen müssen so umfassend gewesen sein dass sich einige der Körper in der Mitte der Haufen konservierten, mumifizierten. Heute ist dort ein Memorial errichtet wo man diese mumifizierten Körper besichtigen kann sowie Massengräber und auch eine allgemeine Ausstellung zur Erklärung der Ereignisse von 1994. 



Ich war auf das, was ich im Inbegriff war zu sehen  vorbereitet. Nachdem wir die Stellwände der erklärenden Ausstellung hinter uns gelassen hatten führte uns die zuständige Museumsführerin nach draußen in den Regen. Durch den Regen (wahrscheinlich) war Stromausfall weswegen die Hälfte der Ausstellung im Dunkeln lag. Unsere Handytaschenlampen ließen ihre winzigen Lichtkegel über die Fotos und Texte der restlichen Stellwände wandern. Der Stromausfall und der Regen draußen verlieh diesem Ort nochmal eine unangenehmere Atmosphäre. Zwei Zitate der Stellwände blieben mir im Gedächtnis, außerdem kannte ich sie bereits aus dem Kigali Memorial Center: „Als sie nach dem Holocaust sagten „nie wieder.“, war das nur auf einige bezogen und nicht für andere gedacht?“ und „wenn du mich gekannt hättest, hättest du mich nicht getötet.“ Meine Stoffschuhe durchnässten nach wenigen Schritten im Regen. Vorbei an 2 Massengräbern die eher aussahen wie gefliestes Schwimmbad mit zwei Luken im Boden ging es zu den kleinen ehemaligen Schlafgebäuden der Schule. Die ersten zwei Räume der Schlafgebäude waren voller Vitrinen mit aufgereihten Totenschädeln und Oberschenkelknochen. Das war bereits in dem anderen Memorial so. Doch die Räume danach waren anders. In ihnen befanden sich die mumifizierten Körper die geborgen wurden. Der Geruch den die mumifizierten Körper verströmten war etwa wie: kreidige tote Maus. Aber das alles schockierte mich nicht annähernd so wie ich erwartet hatte. Das waren keine Leichen, das sah alles so unreal aus. Sie sahen aus wie Papiermenschen, federleicht und so als würden zerbröseln würde man sie berühren.

Dennoch waren die Positionen in denen sie erstarrt waren sehr verschieden. Manche sahen aus als würden sie einfach schlafen und andere hatten die Hände vor ihr Gesicht gehoben den Mund weit aufgerissen, als hätten sie geschrien. Die Papiermenschen lagen wie auf Hüfthoben Holzlattenrosten. Auf einem davon lagen Kinder und Babies. Papiermenschenpuppen.  Drei oder viert Räume voll dieser Papiermenschen besichtigten wir, danach gab es noch einen Raum voller Kleidungsstücke. Ganze Regale, vollgestopft mit steifgewordenen, verkeilten Kleidungsstücken.
Auch wenn man das nicht sagen kann gefiel mir der Ausflug aus dem Grunde, dass diese Art von Memorial es fast schaffte Überbleibsel des Völkermordes zu zeigen, die sonst in Ruanda nicht annähernd  das ausdrücken was 1994 hier wirklich geschah.

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